Kirschen
Süße, rote Frucht
Brigitte Krizsanits
Einen besonderen Stellenwert unter all den Obstbäumen, die rund um das Leithagebirge die Landschaft zieren, nimmt die Kirsche ein. Von den Römern hierher gebracht, hat die Steinfrucht an den Südhängen des Leithagebirges optimale Bedingungen gefunden und so verwandeln rund 10.000 Kirschbäume die Region jährlich in ein Blütenmeer. Was für eine Augenweide, wenn man bedenkt, dass ein Kirschbaum an die 20.000 Blüten zählt.
15 Sorten wachsen in den Weingärten und an Wegrändern, wobei Kirschbaum nicht gleich Kirschbaum ist. In Donnerskirchen heißen sie „Pfarrerkerschten“, weil früher der Pfarrer für die Veredelung und Vermehrung zuständig war und die Bäume seinem Pfarrgarten zog. Die „Braune Purbecker“ war die Sorte in Purbach, sechs Bäume, die diese besondere Kirsche tragen, sind heute noch bekannt. In Jois gedeihen die „Joiser Kerschten“ und in Breitenbrunn, das quasi auch in der Mitte liegt, da wurde gekreuzt. Entstanden sind hier die „Bolaga Kerschten“. „Urban streicht Kirschen an“ besagt ein Sprichwort aus Winden – der Weinheilige St. Urban wird am 25. Mai gefeiert, ab dann nehmen die Kirschen demnach Farbe an. Lange Zeit waren die Kirschen wichtige Einnahmequelle für die Frauen der Dörfer, sie brachten das erste Geld im Jahr, von dem Schuhe oder Kleidung gekauft wurden oder auch das bezahlt wurde, was über den Winter beim Kaufmann angeschrieben worden war. So mühsam und gefährlich das Kirschenbrocken ist, war es dennoch ein gutes Geschäft, die Ernte in Winden brachte um 1920 in guten Jahren bis zu 40.000 Kronen. Die Kirschen waren mitunter so populär, dass sie bis in die höchsten Kreise geliefert wurden. Angeblich gelangten die heimischen Kirschen sogar bis an den russischen Zarenhof – und auch das Sprichwort „Mit dem ist nicht gut Kirschen essen“ geht auf die Exklusivität der Früchte zurück: Im Mittelalter waren Kirschen teuer, nur vornehme Leute konnten sich den Luxus leisten. Manchmal gab jemand aber auch Wohlstand vor, um in den Genuss der Früchte zu kommen. Wurde er dann entlarvt, bespuckten ihn die anderen mit Kirschkernen. Bis noch vor einigen Jahren wurden rund 15 bis 20 Tonnen Kirschen täglich über Händler vertrieben – bis durch exotische Früchte und billige Konkurrenz aus dem Ausland der Absatz sank. Also sahen sich die Produzenten gezwungen, ihre Möglichkeiten zu überdenken. Auch standen die Kirschbäume teilweise der mechanischen Bearbeitung der Weingärten im Wege, schließlich wird so ein Kirschbaum bis zu 20 Meter hoch, der Stamm kann bis zu einen Meter Durchmesser erlangen. Das nimmt den Trauben einerseits die wichtige Sonne, andererseits steht der Stamm dem Traktor im Weg. Wurden im Jahr 1960 in Purbach noch 22.000 Bäume gezählt, so sind es heute rund 500. Und dennoch soll die alte Tradition nicht ganz der Technik zum Opfer fallen. Daher wurden in den letzten Jahren in der Region rund 10.000 neue Bäume gepflanzt. Zahlreiche Produzenten haben erkannt, welchen Stellenwert die Kirsche für die Landschaft hat. Und so ist 2008 der Verein Leithaberg Edelkirsche ins Leben gerufen worden, in dem sich die Gemeinden Donnerskirchen, Purbach, Breitenbrunn, Winden und Jois zusammengeschlossen haben, um die Kirschbaumpopulation zu erhalten. 2012 ist der Verein noch einen Schritt weiter gegangen und hat sich fachkundige Hilfe gesucht. Die Kirschbäume der Region werden nun katalogisiert und aufgearbeitet. Denn was wäre schließlich eine Kirschblütenregion ohne Kirschbäume?
Doch nicht nur bei jenen, die Traditionen bewahren möchten, sondern auch bei den jungen Leuten der Region hat die Leithaberg-Kirsche mittlerweile Kult-Status erlangt. Süss, rot, hochprozentig kommt sie jedes Jahr beim Kirschencocktail in Donnerskirchen zum Ausschank. Plakate kündigen entlang der B50 schon Wochen vorher das Ereignis an: Das Wort „Kico“, das Datum und eine selbst gemalte Kirsche genügen, um am Samstag nach Schulschluss das Festgelände mit mehreren tausend Menschen zu füllen. Hunderte Liter Kirschencocktail gehen über die Tresen. Das Rezept dafür ist streng geheim, nur zwei Leute in Donnerskirchen kennen und hüten es wie einen Schatz. Kein Geheimnis hingegen ist die Erfolgsgeschichte des Festes: Im Jahr 1964 überlegten sich junge Donnerskirchner, die eingebrachte Kirschenernte gebührend zu feiern. Mit etwa 200 Gästen und einer Live-Band wurde der Kult rund um die rote Frucht ins Leben gerufen, der Innenhof des Donnerskirchner Meierhofs wurde bald zu klein und das Festgelände folglich ständig erweitert. 2012 sollte der letzte Kirschencocktail auf dem alten Gelände stattfinden: Es wurde verkauft, und so musste eine neue Location gefunden werden – was dem Erfolg des Festes aber keinen Abbruch tut. Für jede Altersgruppe ist etwas dabei, auch bei den Getränken. Denn neben der Kirsche gibt es natürlich auch ausgezeichnete Donnerskirchner Weine.
Kirsche oder Wein, für eine junge Dame aus dem Ort ist das an diesem Abend keine Frage, denn sie wurde auserkoren, um für ein Jahr die Kirsche zu repräsentieren. Jedes Jahr bewerben sich 18-jährige Mädchen um das Amt der Kirschenkönigin. Jeder Bewohner darf seine Stimme abgeben. Ein Komitee zählt schließlich aus und ermittelt die Königin für das folgende Jahr. Gekrönt wird das Haupt kurz vor Mitternacht. Ein anschließendes Feuerwerk sorgt für entsprechenden Salut.
Auszug aus dem Bildband "Das Leithagebirge. Grenze und Verbindung" von
Brigitte Krizsanits und Manfred Horvath, ISBN: ISBN 978-3-99028-172-7